Jacob Paludan (1896 – 1975): Jørgen Stein/Gewitter von Süd (1933)

 

Paludans „Jørgen Stein“ ist große humanistische Erzählkunst,wie man sie heutzutage kaum mehr findet. Zum einen eine Art Buddenbrooks-Geschichte, vom Untergang einer bürgerlichen Familie, aber zum anderen auch ein groß angelegter Entwicklungsroman mit philosophischem Hauch und gesamtgesellschaftlichem Anspruch, ganz deutlich in der Nachfolge des Nobelpreisträgers Pontoppidan und dessen "Lykke-Per". Für Kenner der dänischen Literatur auch äußerst spannend als Pendant zu Tom Kristensens "Hærværk", denn es wird im Zentralteil das gleiche Kopenhagen, aber nicht mit expressionistischen, sondern traditionellen Mitteln und eben ganz anders geschildert. In ruhigem Redestrom, mit ausgewählter Sprache, kann der Leser das Leben des Jørgen Stein verfolgen, an dessen 16. Geburtstag das Attentat von Sarajevo bekannt wird und damit den Lebenslauf einer ganzen Generation nachhaltig veränderte. Für viele ging der Sinn des Lebens verloren, selbst wenn der Krieg für die Dänen nur Zeitungsmeldung blieb, und auch Jørgen kann kein tragendes Motiv mehr finden, durchlebt ganz verschiedene Ansätze, die Wissenschaft, die Kunst, die Erotik, den Exzess, die Gosse, die proletarische Versprechung ... aber das alles ist es nicht. Am Ende findet er sein Glück - mit Kompromissen -, ganz wie der Hans des Märchens, überraschend im Allereinfachsten ...

Aber "Gewitter von Süd" ist auch eine Annäherung an den Kollektivroman; eine Phänomenologie des Scheiterns an Beschleunigung und Hyperkomplexität in der Moderne; eine breit angelegte Personage beiderlei Geschlechts, die ebenfalls die verschiedenen Bewältigungsversuche symbolisieren, aus allen Alters- und Gesellschaftsschichten macht die globale Ambition dieses Hauptwerkes der dänischen Literatur deutlich.

 

 

Fugle omkring Fyret/Vögel ums Feuer(1925)

 

Paludan gilt vielen als der bedeutendste dänische Dichter der Epoche zwischen den beiden Weltkriegen. Mit seinem Opus „Jørgen Stein“ hat er 1936 sicherlich Maßstäbe gesetzt. „Vögel ums Feuer“ war nun 1925 sein erster epischer Erfolg und das hat wohl vor allem zwei Ursachen. Zum einen beginnt es mit einer grandiosen Naturbeschreibung, die an Bildhaftigkeit und Ideenreichtum weltweit ihresgleichen sucht, und zum anderen wirkte das ironisch beschriebene und spektakulär scheiternde megalomanische Projekt einer Hafenkonstruktion an der Westküste besonders stark auf patriotisch veranlagte Dänen. Tatsächlich kristallisieren sich schon hier Paludans Dauerthemen heraus: die Schwierigkeit für den modernen, entwurzelten Menschen, sich in der Liebe zu finden, und der titanische Kampf zwischen Menschen und Maschine, Tradition und Fortschritt. Paludan steht dabei auf der Seite der Fortschrittsskeptiker, gibt sich als Konservativer zu erkennen und das erklärt wohl auch den Versuch, eher vollendet traditionell zu schreiben anstatt nach neuen experimentellen oder expressionistischen Ausdrucksformen zu suchen und verleiht im Übrigen besagter Naturschilderung eine metaphysische und kompositorische Komponente – mit Nietzsches Zarathustra, den Paludan zitiert: Bleibt mir der Erde treu!

 

©Text und Übersetzungen Jörg Seidel

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